An Wochen wie diesen kann man sich über dieses Phänomen der Popkultur nur wundern: Die Toten Hosen und ihre überraschend erfolgreiche Comeback-Single „Tage wie diese“.
Sie begannen als lokale Punker namens ZK („Zentralkomitee Stadtmitte“). Mit neuem Namen, ausgerechnet vom feinen Düsseldorf aus, konnte das anfängliche Punk-Sextett bereits früh Erfolge verbuchen: die Party-Hymne „Eiskalter Bommerlunder“ kennt jeder.
Später kokettierte die selbst ernannte Opel-Gang (1983) mit ihrem Bandnamen durch eine Coverplatte Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen (1987). Anschließend kamen Alex, Azzurro und der aufrechte Deutsche Sascha. 1996 war der kommerzielle Wendepunkt erreicht, mithilfe von „Bonnie & Clyde“ und ihrer ersten Nummer-Eins-Single „Zehn kleine Jägermeister“, die in der dritten Klasse damals alle im Schulunterricht mitgrölen durften.
Ab 1998 konnte man nicht mehr nur auf Sauf-Songs und Filmklassiker-Tribute abgehen, denn neben Weihnachts-Punkrock-Liedchen gelang ihnen auch englische Texte wie das über Rechtlosigkeit und Unterdrückung handelnde „Pushed Again“. Sie konnten auch ernst machen. Schön und unsterblich sein, über Fußball-Bayern texten.
In den Nullerjahren blieb es bis auf eine Anti-Moralapostel-Ode auf den Alkohol eher seriös. Aus semi-anarchischem Punk-Rock wurde geradliniger Rock-Rock. Ihnen gelang zwar der ein oder andere TOP10-Single-Einstieg durchaus („Friss oder stirb“, „Strom“), aber so richtig ekstatisch aufmischen konnten sie das identitätssuchende Heimatland nicht mehr. Sie waren eher bloß Nur zu Besuch: Unplugged (2005).
Man hatte die Ex-Rebellen lange nicht mehr auf dem Schirm gehabt. Doch in diesem Jahr, in dem auch ihre einstigen Rivalen Die Ärzte wieder von sich reden machen, bewiesen sie, dass das Quintett noch lange nicht Geschichte ist.
Die Hosen koppelten im April „Tage wie diese“ aus ihrem 15. Studioalbum Ballast der Republik (2012) heraus. Wochenlang blieb die sogar radiotaugliche Single irgendwo zwischen Platz 2 und Platz 6. Ende Mai war es soweit. Kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft 2012 landet das Lied auf Platz 1. Und bleibt dort, liegt dank Eurovision Song Contest 2012 und Loreens „Euphoria“ zwar kurz auf dem Boden des zweiten Platzes, aber darf die meiste Zeit auf dem Hitlisten-Thron sitzen bleiben.
Die bisherigen fünf Wochen an der Spitze der deutschen Singlecharts fühlen sich wie doppelt so viele an. Doch man gönnt der seit 30 Jahren bestehenden Band diesen Sommererfolg viel mehr als anderen kurzlebigen Künstlern. Und auch wenn dieser musikalische Appell an Hedonismus an sich ein eher durchschnittlicher Song ist, verfügt er über eine erstaunliche Euphorie, gesellschaftlichen Kitt und Massentauglichkeit.
Diese Euphorie passte wunderbar zum EM-Fieber: „Ich wart seit Wochen, auf diesen Tag / Und tanz vor Freude, über den Asphalt“. Zwar war der offizielle EM-Song dieses Jahr „Endless Summer“ von Oceana, aber hierbei konnten sich weitaus weniger Menschen für das Retro-Eurodance-Brett begeistern. Ist unendlich viel Zeit nicht besser? Noch ungehörter blieb das „offizielle“ Lied für die deutschen EM-Fans von Roger Cicero namens „Für nichts auf dieser Welt“: Höchstposition war der lahme Platz 85.
„Tage wie diese“ spricht fast jeden Menschen an: von Jung bis Alt, von Mann bis Frau, vom Fußball-Laien bis zum Kicker-Dauerabonnent. Wenn wache Feierlaune mit ehrlichem Ernst ohne Fingerzeig und Unversifftheit gekreuzt wird, kann durchaus mal ein Dauerbrenner entstehen. Respektable Leistung!