David Bowie mit „Space Oddity“.
Das Tagversüßer-Konzept hat so seine Schwächen. Postet man für diese Blog-Rubrik ein Musikvideo zu einem Song, der einem schon am Vormittag gefällt, den man vielleicht früh morgens mitgesummen hat, dann ist nicht sichergestellt, dass er den Tag wirklich am meisten versüßt hat. Es kann ja sein, dass man am Abend z.B. ausgeht und in einem Club ein tolles Lied hört oder ins Kino geht und dort durch den Soundtrack so richtig versüßt wird. Und dann stimmt der Post mit dem bereits dargebotenen Song mit eingebettetem Video nicht mehr, dann ist sind Video + Song de facto nur der Vize-Tagversüßer. Und ändern will man das dann nicht, weil das auch nicht sehr authentisch herüberkommt.
So war es gestern mit Cold War Kids‘ „Louder Than Ever“, das aus Mangel an Alternativen herhalten musste für den Mittwoch-Tagversüßer. War zwar ein gutes Lied, ist derzeit sogar auf Platz 7 meiner Charts. Aber schon während des Abtippens stand ich nicht vollends dahinter.
Außerdem war ich gestern nach langer Zeit wieder im Kino. Vor zwei Monaten sah ich Exit Through the Gift Shop. Und am Mittwoch Abend war ich dann im Roxy, im Kino in Wertheim. Dienstag und Mittwoch gibt es die Auslese-Reihe, manchmal auch VHS-Kino genant. Hier werden keine Blockbuster oder Kinderfilme gezeigt, sondern oft eher mittlere oder kleinere Filme, solche, die ein oft anspruchsvolleres und bürgerlicheres Publikum ansprechen. Lost in Translation oder Sideways habe ich so in Wertheim in der Jugend sehen können, zuletzt lief Goethe!.
Und gestern und vorgestern wurde Drei gezeigt, der aktuellste Film von Tom Tykwer, diese Ménage à Trois über bourgeoise Missstände, Schwangerschaften und Bisexualität. Toller Film, tolle SchauspielerInnen! Und in diesem lief „Space Oddity“ von David Bowie, was, um nochmal auf den Anfang des Post zu kommen, der verdiente Tagversüßer für gestern gewesen wäre.
Ich war verwirrt. Ich kenne den Psychedelic-Folk-Rock-Song „Space Oddity“ schon länger und verstand nicht, was Bowies erster großer Single-Klassiker von 1969 mit Drei zu tun hat. Und tue es immer noch nicht. Vom Blog Spinner.com zu den 25 traurigsten Songs der Musikgeschichte gewählt, handelt es sich in den Lyrics Bowies vordergründig um eine traurige Geschichte über einen fiktiven Astronauten namens Major Tom. Major Tom, der abhebt und kurz vorher noch Kontakt mit der Bodenstation („Major Tom to Ground Control…“ / „Ground Control to Major Tom…“) sucht. Erst klappt alles, doch dann bricht die Verbindung langsam ab. In seinen letzten Worten bittet er die Leute von der Bodenstation, seiner Frau mitzuteilen, dass er sie sehr liebe.
Hintergründig geht es um etwas ganz anderes, nämlich soll die Weltall-Metapher eigentlich für den Drogenkonsum und Raumfahrer Major Tom für einen Abhängigen stehen. Bowie selbst bestätigte in der 1980er-Single „Ashes to Ashes“ selbstreferenziell auf künstlerischem Wege: „Do you remember a guy that’s been / In such an early song / I’ve heard a rumour from Ground Control / Oh no, don’t say it’s true“. Und: „Ashes to ashes, funk to funky / We know Major Tom’s a junkie / Strung out in heaven’s high / Hitting an all-time low“. Bowie meinte später, dass „Space Oddity“ wohl als autobiographische Auseinandersetzung mit seiner damalige Lebensphase zu sehen ist.
Wichtig zu erwähnen ist noch, dass „Space Oddity“ 1969 veröffentlicht wurde. Am 11. Juli 1969 nämlich wurde die Single veröffentlicht, ein paar Tage vor dem Start der Apollo 11-Mission, durch die ja bekanntlich und angeblich (viele Mythen und Verschwörungstheorien ranken sich darum) der Mond seinen ersten Fußabdruck bekam, und durch welche die moderne Raumfahrt begonnen hatte. Bowie erklärte, dass er maßgeblich von Stanley Kubricks Sci-Fi-Klassiker 2001: Odysee im Weltraum beinflusst war, als er dieses Lied schrieb. Und in diesem Film, hier muss ich leider spoilern, geschieht am Ende sozusagen das, was in „Space Oddity“ beschrieben wurde: der Unfall, durch den sich die Hauptfigur von der Zivilisation abkapselt. Man kann sagen, dass der Titel eine Verballhornung des englischen Originaltitels 2001: A Space Odyssey ist. Ist Bowie nicht ein genialer Songwriter (bezogen auf beide erwähnten Singles)?
Ich empfehle die tolle und doch nicht allzu lange Kolumne „Was „Major Tom“ the astronaut a real person?“ vom Autor Songbird auf The Straight Dope – Fighting Ignorance Since 1973. Hat für das Verständnis der Lyrics sehr beigetragen.
Also im Tykwer-Film Drei geht es, hier diesmal, ohne etwas zu spoilern, wirklich weder um Raumfahrten noch um Drogenmissbräuche. Wie dem auch sei: der Film ist, obwohl er gut ist, etwas Böses angestellt. Wie zuvor erwähnt, dadurch, dass er „Space Oddity“ als Soundtrack verwendet hat, hat er das Lied entzaubert. Ist aber auch damit zu erklären bei mir, dass ich manche Songs dafür liebe, dass man sie nicht so oft zu hören bekommt. Denn so halten sie das Besondere daran aufrecht. Und anscheinend wurde „Space Oddity“ gestern dann von einem „besonderen“ zu einem nur noch „normalen“ tollen Lied.
David Bowie hat mein Leben und meine Musikgewohnheiten bisher noch nicht allzu sehr beeinflusst wie viele MusikkritikerInnen, die älter sind als ich, oder auch meinen Blogkollegen ok23, der Bowie-Fan ist. Ich kann mich noch erinnern, dass die Verzauberung durch „Space Oddity“ wiederum damals bei der unterhaltsamen WDR-Show Zimmer Frei stattgefunden hatte, als Bestseller-Autor Frank Schätzing zu Gast bei der Pseudo-WG war und, von Götz Alsmann am Klavier begleitet, „Space Oddity“ sang. Nicht nur, dass ich so erfuhr, dass Schätzing echt eine tolle Stimme hat: so hab ich auch Bowies Song das erste Mal kennengelernt.
Soll ich noch erwähnen, dass „Space Oddity“ mehrmals von den unterschiedlichsten Bands und KünstlerInnen gecovert oder geschändigt wurde (je nachdem), u.a. von Cat Power, Helloween, Émilie Simon, Tangerine Dream und Def Leppard. Die bekannteste Version ist natürlich die vom Brasilianer Seu Jorge, akustisch in Wes Andersons tollem Film Die Tiefseetaucher (The Life Aquatic with Steve Zissou) geadelt. Jetzt sollte ich aber mal aufhören mit dem Labern. Hier für euch das Originalvideo zu „Space Oddity“, das vom legendären Mick Rock 1972, also drei Jahre nach der ersten Single-Veröffentlichung, gedreht wurde…