Archive for the ‘kreativwerkstatt’ Category

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23.01.2013

23/01/2013

Creative Writing Seminar WS12/13

 

 

Gestern nahmen wir uns den Dienstagabend frei, um uns etwas anzuschauen, bei dem wir selber einst mitgemacht hatten. Datum: 22. Januar 2013. Uhrzeit: 19:00h. Ort: Zentrales Hörsaal- und Seminargebäude der Uni Würzburg am Hubland. Inhalt: die Lesung des Creative Writing Seminars des Wintersemesters 2012/2013. Begleitpersonen: Janini und Goldbasti.

 

 

Für die damals neue „Übung konnten sich Interessenten nur anmelden, wenn sie vorher einen selbst geschriebenen Text persönlich an den dafür zuständigen Dozenten schicken. Egal ob Kurzprosa oder Gedicht, ob auf Englisch oder Deutsch, die Online-Bewerbung muss nur noch vor den offiziellen Anglistik-Einschreibefristen geschehen.

 

Wider Erwarten ging es in CWS nicht darum zu lernen, welche kreativen Techniken dazu dienlich sind, auf literarische Ideen und Strukturen zu kommen. Es ging vielmehr darum, den anfangs versandten eigenen Text vorzutragen, den die anderen Kursteilnehmer anschließend mit konstruktiver Kritik reflektieren sollten. Was am Text ist gut, was inhaltlich unverständlich und welche Details verbesserungswürdig? Vorlesung im wörtlichsten Sinne.

 

Dort lernte ich Janini („frittierfettschwanger“) und Goldbasti („elfstöckigen Phallus“) kennen, mit denen ich mich gegen manch andere im Kurs solidarisiert hatte. Anders gesagt, wir konnten gemeinsam über Geschichten mit auftretenden vampirischen Zeitreisenden, Zuhältergnomen und Mondeinhörnern kichern.

 

 

Am Ende war die Lesung, bei der jeder seinen – im besten Falle noch verbesserten – Lieblingstext einer fremden Gruppe von Menschen vorstellen durften. Ohne Eintrittsgeld. Feedback hingegen war aber durchaus gewünscht.

 

Wir Pioniere machten beim zweiten CWS im folgenden Semester aber nicht nochmal mit, schauten uns dennoch an, was unsere geistigen Erben bei deren Lesung so drauf hatten. Bis auf einen Text waren die restlichen Beiträge jedoch unspektakulär bis ärgerlich.

 

 

Mit verständlicherweise mehr Vorbehalt als Vorfreude ließ ich mich von den anderen überreden, zur gestrigen Lesung des aktuellen CWS zu gehen.  Aber warum sieht die eine da vorne aus wie eine Kreuzung aus Hippie und Mathegenie und die andere wie eine gemäßigte Bordsteinschwalbe? Antwort: die drei Autorinnen und der eine Autor inszenierten die „Vorstellungsrunde“ mit dem Dozenten als Therapieleiter eine Art Psychotherapiesitzung: Natur-Umarmerin, Uni-Flittchen, weiblicher Loser und phlegmatischer Alles-fliegt-mir-zu-Typ.

 

War ich im falschen Film, bzw. in der falschen Theateraufführung? Eher: Vorstellungsrunde = Zeitschinderei wegen geringer Anzahl an Kursteilnehmern. Es ging doch um kreativ geschriebene Texte, welche mit den dargebrachten Rollenklischees nichts zu tun hatten, wie beruhigend. Die Redner waren wieder normale Studenten. Der erste Text war ganz nett, doch die vielen Chiffren („Königsblau“, „Schraubenschlüssel“ und „Walnuss“) setzten mir zu. Smartphone-und-duck-dich-Modus. Andere Zuschauer/-hörer haben hingegen viel Feedback gegeben.

 

Der zweite Text war das erste Kapitel eines Romans. Bereits mit der vorausnehmenden Anmerkung „Fantasy-Geschichte“ war alles klar: Geek! Sie hatte zwar eine schöne und anregende Lesestimme, doch die detaillierte Beschreibung eines Siegels eines Schneeglöckchen-Ordens veranlasste mich, mir dringend die Zuhältergnome zurückzuwünschen.

 

 

Goldbasti, Janini und ich entschieden uns, bereits in der Pause zu gehen, da Janini mit dem Auto da war. Angst vor Eisglätte wegen Schneefall. Auf dem Weg haben beide überraschenderweise die zwei gehörten Texte verteidigt, immerhin nicht hochgelobt, während ich mich schon auf leidenschaftliche Verrisse gefreut hatte. Jaja, Hobbits sind ja auch Mainstream geworden und nett waren die Texte doch, blabla. Schöne Freunde seid ihr!

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03.01.2013

03/01/2013

Lieblingssongs / Lieblings-EPs / Lana del Rey / Summertime Sadness

Meine Lieblings-EPs von 2012 waren:

05) Lakutis: I’m in the Forest

04) How to destroy angels_: An Omen

03) Dr. Dog: Wild Race

02) Daniel Rossen: Silent Hour/Golden Mile

01) AlunaGeorge: You Know You Like It

 

Meine Lieblingssongs 2012 waren:

 

50) Poolside: “Slow Down” [Mein persönlicher Sommer-Song 2012!]

49) The Walkmen: “We Can’t Be Beat”

48) Cat Power: “Ruin”

47) Menomena: “Pique”

46) Santigold: “The Keepers”

45) Dirty Projectors: “Maybe That Was It”

44) Kindness: “Swingin Party”

43) Laing: “Morgens immer müde” [Trude Herr-Coverversion, neben “Skyfall” einziger anderer D-Singlecharts-Hit!]

42) Crystal Castles: “Kerosene”

41) Hot Chip: “Always Been Your Love”

40) Fiona Apple: “Every Single Night”

39) How to Dress Well: “Cold Nites”

38) Adele: “Skyfall” [Einziger hier vertretener Nummer-1-Hit!]

37) Frank Ocean feat. Earl Sweatshirt: “Crack Rock”

36) Beach House: “Wild”

35) Grizzly Bear: “Yet Again”

34) Solange: “Losing You”

33) Chromatics: “Into the Black” [Coverversion eines Songs von Neil Young]

32) Perfume Genius: “All Waters”

31) Killer Mike: “Reagan”

30) Beck: “I Only Have Eyes For You” [Coverversion eines Songs von Doug Aitken]

29) Tame Impala: “Elephant”

28) Jai Paul: “Jasmine”

27) Miguel: “Where’s the Fun in Forever”

26) AlunaGeorge: “You Know You Like It”

25) Grizzly Bear: “Speak in Rounds”

24) Xiu Xiu: “Joey’s Song”

23) Chairlift: “I Belong in Your Arms (Japanese Version)”

22) Flying Lotus: “The Nightcaller”

21) Frank Ocean: “Sweet Life”

20) Mykki Blanco: “Wavvy”

19) The xx: “Chained”

18) BenZel & Jessie Ware: “If You Love Me” [Coverversion eines Songs von Brownstone]

17) Hot Chip: “Motion Sickness”

16) Mac DeMarco: “Ode to Viceroy”

15) Wye Oak: “Spiral”

14) Yeasayer: “Reagan’s Skeleton”

13) Grizzly Bear: “What’s Wrong”

12) Father John Misty: “Nancy From Now On”

11) Frank Ocean: “Bad Religion” [Live at Late Night with Jimmy Fallon]

 

10) Fiona Apple: “Dull Tool”

[Tatsächlich ist das der geilste, weil am druckvollsten produzierte Fiona-Song 2012. Teil des Soundtracks zu This Is 40.]

 

09) Twin Shadow: “Five Seconds”

[Der coolste Wie-klingen-die-80er-nochmal-Song aus dem Jahre 2012. Ein Lied zum Twisten.]

 

08) Kimbra: “Cameo Lover”

[Der Gesangs-Gast aus Gotyes “Somebody…”-Hit liefert hier grandios produzierten Pop ab. Bezaubernder 60s-Style!]

 

07) Dirty Projectors: “Gun Has No Trigger”

[Ein Schlagzeug, eine leidenschaftliche Männerstimme und ein Frauenstimmen-Duo, das Spannungsbögen herzaubert: viel mehr ist nicht nötig.]

 

06) Bobby Womack: “Please Forgive My Heart”

[So klingt Post-Dubstep. Die Soul-Pop-Legende hat sich wunderbar neu erfunden.]

 

05) Beach House: “Myth”

[Tu dir was Gutes, hör dir den Prog-Dream-Pop dieses unendlich wärmenden Songs an.]

 

04) Dr. Dog “Do the Trick”

[Gute-Laune-Faktor: hoch! Charmanter und schunkelfreundlicher geht nimmer.]

 

03) Grimes: “Circumambient”

[Unbeschreiblich: wie ein unschuldiger J-Popsong, der auf die Rave-Tanzfläche gezerrt wird und mit “E”s gestopft wird?]

 

02) Frank Ocean: „Pyramids”

[Von den drei Teilen des knapp zehnminütigen Monstersongs ist mir der erste Elektrosoulpop-Part mit dem Pharaonen-Zeitalter-Text am liebsten, die anderen psychedelischen Teile sind aber auch nice.]

 

01) Grizzly Bear: “Sleeping Ute” [Der erste progressive Part dieses hammermäßigen Artrock-Songs ist ein einziger Orgasmus im Freien, der zweite indie-folkige Part ist die bittere Zigarette danach, und dann wird es still.]

 

 

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500 Wörter – 12.07.2012

12/07/2012

Campino freut sich über Tage wie diese

 

 

 

An Wochen wie diesen kann man sich über dieses Phänomen der Popkultur nur wundern: Die Toten Hosen und ihre überraschend erfolgreiche Comeback-Single „Tage wie diese“.

 

 

Sie begannen als lokale Punker namens ZK („Zentralkomitee Stadtmitte“). Mit neuem Namen, ausgerechnet vom feinen Düsseldorf aus, konnte das anfängliche Punk-Sextett bereits früh Erfolge verbuchen: die Party-Hymne „Eiskalter Bommerlunder“ kennt jeder.

 

Später kokettierte die selbst ernannte Opel-Gang (1983) mit ihrem Bandnamen durch eine Coverplatte Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen (1987). Anschließend kamen Alex, Azzurro und der aufrechte Deutsche Sascha. 1996 war der kommerzielle Wendepunkt erreicht, mithilfe von „Bonnie & Clyde“ und ihrer ersten Nummer-Eins-Single „Zehn kleine Jägermeister“, die in der dritten Klasse damals alle im Schulunterricht mitgrölen durften.

 

 

Ab 1998 konnte man nicht mehr nur auf Sauf-Songs und Filmklassiker-Tribute abgehen, denn neben Weihnachts-Punkrock-Liedchen gelang ihnen auch englische Texte wie das über Rechtlosigkeit und Unterdrückung handelnde „Pushed Again“. Sie konnten auch ernst machen. Schön und unsterblich sein, über Fußball-Bayern texten.

 

In den Nullerjahren blieb es bis auf eine Anti-Moralapostel-Ode auf den Alkohol eher seriös. Aus semi-anarchischem Punk-Rock wurde geradliniger Rock-Rock. Ihnen gelang zwar der ein oder andere TOP10-Single-Einstieg durchaus („Friss oder stirb“, „Strom“), aber so richtig ekstatisch aufmischen konnten sie das identitätssuchende Heimatland nicht mehr. Sie waren eher bloß Nur zu Besuch: Unplugged (2005).

 

 

Man hatte die Ex-Rebellen lange nicht mehr auf dem Schirm gehabt. Doch in diesem Jahr, in dem auch ihre einstigen Rivalen Die Ärzte wieder von sich reden machen, bewiesen sie, dass das Quintett noch lange nicht Geschichte ist.

 

Die Hosen koppelten im April „Tage wie diese“ aus ihrem 15. Studioalbum Ballast der Republik (2012) heraus. Wochenlang blieb die sogar radiotaugliche Single irgendwo zwischen Platz 2 und Platz 6. Ende Mai war es soweit. Kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft 2012 landet das Lied auf Platz 1. Und bleibt dort, liegt dank Eurovision Song Contest 2012 und Loreens „Euphoria“ zwar kurz auf dem Boden des zweiten Platzes, aber darf die meiste Zeit auf dem Hitlisten-Thron sitzen bleiben.

 

 

Die bisherigen fünf Wochen an der Spitze der deutschen Singlecharts fühlen sich wie doppelt so viele an. Doch man gönnt der seit 30 Jahren bestehenden Band diesen Sommererfolg viel mehr als anderen kurzlebigen Künstlern. Und auch wenn dieser musikalische Appell an Hedonismus an sich ein eher durchschnittlicher Song ist, verfügt er über eine erstaunliche Euphorie, gesellschaftlichen Kitt und Massentauglichkeit.

 

Diese Euphorie passte wunderbar zum EM-Fieber: „Ich wart seit Wochen, auf diesen Tag / Und tanz vor Freude, über den Asphalt“. Zwar war der offizielle EM-Song dieses Jahr „Endless Summer“ von Oceana, aber hierbei konnten sich weitaus weniger Menschen für das Retro-Eurodance-Brett begeistern. Ist unendlich viel Zeit nicht besser? Noch ungehörter blieb das „offizielle“ Lied für die deutschen EM-Fans von Roger Cicero namens „Für nichts auf dieser Welt“: Höchstposition war der lahme Platz 85.

 

 

„Tage wie diese“ spricht fast jeden Menschen an: von Jung bis Alt, von Mann bis Frau, vom Fußball-Laien bis zum Kicker-Dauerabonnent. Wenn wache Feierlaune mit ehrlichem Ernst ohne Fingerzeig und Unversifftheit gekreuzt wird, kann durchaus mal ein Dauerbrenner entstehen. Respektable Leistung!

 

 

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500 Wörter – 21.06.2012

21/06/2012

Lykke Li painted

 

 

 

In der heutigen Donnerstag-Rubrik der Pop-Phänomene geht es um „I Follow Rivers“, Lykke Li und Triggerfinger.

 

 

Für all die, die keine Indie- oder Semi-Indie-Musikhörer sind, stelle ich die oben genannte Frau erst einmal vor. Lykke Li Timotej Zachrisson ist eine sechsundzwanzig Jahre alte Sängerin aus Schweden. Das Land mit zwar ABBA und Loreen (die Schwedin der letzten Woche, siehe 14.06.2012), aber auch mit der cooleren Musik und den cooleren Charts.

 

Durch ihre Eltern erlebte Lykke Li früh Kunst und das Reisen in viele Länder, was ihr sicherlich bei ihrem musikalischen Werdegang sehr half. Ihr Debütalbum Youth Novels kam schließlich 2008 heraus und erreichte in Schweden Platz 3.

 

Schon damals fiel die Chanteuse mit ihrer quäkig-charmanten Stimme auf, die sie mit leicht elektronischem Indie-Pop kombinierte. Außerhalb Schwedens war sie mit Hit-potenziellen Singles wie „I’m Good, I’m Gone“ oder „Little Bit“ zwar nur in Belgien chartsmäßig irgendwie sichtbar, doch bei ego.fm-Hörer/innen und SPEX-Leser/innen erschloss sie sich eine kleine und feine Fangemeinde.

 

 

Elektro-Pop-Gays lieben die Stilikone mit dem Smokey-Eyes-Schlafzimmerblick und den pseudo-verlotterten Haaren zusätzlich für den Gastbeitrag für Kleerup (schwedischer Techno-/Synthpop-Produzent) bei seinem Track „Until We Bleed“ (2008). Selbst Twilight-Guckerinnen wurden mit ihrer exklusiven Soundtrack-Mitwirkung namens „Possibility“ im Jahre 2009 belohnt.

 

 

Später wollte Li jedoch nicht mehr nur niedliche Musik machen, sondern der Komposition und den Lyrics Tiefgang, Schmerzen und Dunkelheit beifügen. Einfach mehr wagen! Also veröffentlichte sie 2010 die rhythmische Single „Get Some“ mit dem eindeutigen Ausruf: „I’m a prostitute / You can get some!“

 

In ihrem zweiten Album Wounded Rhymes (2011) gab es ähnlich masochistische Song-Titelnamen wie „Sadness Is a Blessing“ (mit wunderbarem Musikvideo!) oder „Youth Knows No Pain“. Trotz oder gerade wegen der musikalischen Schwere liebten die Kritiker diese Platte!

 

 

Umso überraschender war derjenige Moment, als ich einen Remix der zweiten Single „I Follow Rivers“ zum ersten Mal im Pöbel-Radio hörte. WTF? Es war jedoch nicht die grandiose Original-Version oder der atmosphärische Remix von Dave Sitek, sondern die ziemlich 90er-House-lastige Überarbeitung von The Magician. Naja. Passt zum momentanen Euro-Disco-Revival.

 

Noch verblüffender: wenig später hörte ich im Radio eine Cover-Version von „I Follow Rivers“. Von einer derbe unbekannten Band namens Triggerfinger: eine ältliche und bisher kaum erfolgreiche Hard-Rock-Band aus dem belgischen Antwerpen. Hörte sich ganz anders an, eine Mischung aus Northern Soul, Blues und Dad-Rock, nur in akustisch mit Gläsern, Tassen und Messern als Klangkörper. Leider nicht geil.

 

 

Am unfassbarsten: beide Versionen schafften es sowohl in Flandern als auch in Wallonien auf Platz 1 jener Single-Charts. In Deutschland konnte sich dagegen Lykke Lis „I Follow Rivers“ dank des Magician-Remixes bisher auf Platz 9 behaupten, während die belgische Cover-Version nur irgendwo knapp unterhalb der TOP50 herumkriecht.

 

Der Remix wurde neben der deutschen Heavy Rotation im Radio auch während der UEFA Champions League 2011/2012 oft in Sat.1 gehört. Deswegen vielleicht, und weil Triggerfinger doch für deutsche Ohren zu schmalzige Musik machen, siegt Lykke Li gegenüber den Flandern.

 

 

Schweden schied trotzdem zuletzt aus der EM-Vorrunde aus, Belgien war gar nicht erst mit dabei. Remix und Cover-Version sorgen also für Erfolge auf Umwegen, sehr interessant!

 

 

http://vimeo.com/22935185

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500 Wörter – 14.06.2012

14/06/2012

Loreen Twee Dree

 

 

Wen haben wir denn da? Der Song „Euphoria“ ist letzten Freitag von Null auf Platz 1 in die deutschen Singlecharts geschossen? Hmm…

 

 

Europas Währung geht es miserabel, doch zumindest kann man den EU-Pessimismus anscheinend mit massenkompatibler Musik aus jenem Kontinent kurz betäuben. Sicherlich hat der ein oder andere mitbekommen, dass vor fast zwei Wochen eine gewisse Lorine Zineb Nora Talhaoui den Eurovision Song Contest 2012 gewonnen hat. Besser bekannt als Loreen konnte heuer eine 29-Jährige den europaweiten Völkerverständigungs-Interpreten-Komponisten-Zirkus für sich behaupten. Glückwunsch zum vorhersehbarsten Sieg seit langem beim ESC.

 

Früher habe ich den fast regelmäßig und fast jedes Jahr mitverfolgt. Das fing alles 1998 mit Guildo Horn und Diva International Eurovision Song Contest an. In den letzten Jahren vor Lenamania flaute das Interesse danach ab, da sowohl die Sieger-Lieder als auch die deutschen Beiträge  aus dem Ohr rein- und rausgingen. Dann kam „Satellite“ und das unterschätzte „Taken by a Stranger“, sowie der schnuckelige Aserbaidschaner Eldar mit Nigar als Ell & Nikki, wodurch ESC wieder spannender wurde.

 

Doch nachdem Lenas offizieller Nachfolger Roman Lob so wenig Chart-Staub und Medien-Hype aufgewirbelt hatte, ging das Interesse wieder zurück. So sehr, dass ich an jenem Samstag verschwitzt hatte, dass die Bürger/innen Europas und benachbarter Staaten nach dem nächsten Superstar suchten. Für den charmanten Herrn Lob reichte es für den achten Platz, auch die russischen Omis gewannen den Wettbewerb nicht, aber sie fanden bei einer Schwedin marokkanischen Urpsrungs mit ungewöhnlichem Lippen-Piercing und heutzutage gewöhnlicher Pony-Frisur das Siegerlied.

 

 

Ähnlich zeitgeistig konventionell klingt auch Loreen interpretiertes Lied „Euphoria“. In den letzten drei Jahren konnte die Weltbevölkerung nur schwer überhören, dass der französische House-Produzent und -DJ David Guetta den Eurodance-Retro-Stein ins Rollen brachte. Dank amerikanischer Feature-Gäste wie Kelly Rowland und Akon krempelte er die vorderen Charts-Ränge weltweit nachhaltig um. In den USA kam dies damals so gut an, dass das dort kaum vorgekommene Eurodance-Fieber der 90er zum ersten Mal dort stattfand und sich von dort aus wie eine Seuche weiterverbreitete.

 

Ironie des Schicksals, dass sich der Kreis durch den Sieg des schwedischen Eurotrash-Dance-Tracks wieder geschlossen hat: Eurodance wird erst zu Ami-Dance und gewinnt schließlich in Europa einen schon immer seltsam anmutenden Sangeswettbewerb voller knallbunter Performancesucht. Der einst als Schlager-Veranstaltung so verschriene ESC scheint aber bald wieder vergessen zu werden in der medialen Berichterstattung.

 

Doch bevor das geschieht, erinnern wir uns: Schlager ist die deutsche Übersetzung von „Hit“ und das ist das zugegebenermaßen eingängige „Euphoria“ zweifellos. Im Gegensatz zum Schlager-Pop von Ell & Nikki  – „Running Scared“, das letztes Jahr hierzulande lediglich irgendwo in den TOP40 chartete – spricht der Gassenhauer von Loreen anscheinend weitaus mehr Musik-Käufer an.

 

 

Ohne Eurovision-Wissen könnte man die Single aber auch für eine Auskopplung dieser erstaunlich erfolgreichen Dänin namens  Medina halten. Oder für ein Lied irgendeiner anderen europäischen Trance-Tussi. Anders gesagt: effizient ist das Lied durchaus, nur gleichzeitig ohne jeglichen Charakter, bar jeglicher Emotionen, so gänzlich gesichtslos. Wetten, dass Loreen als ein klassischer Fall von One-Hit-Wonder werden wird, wie all die ESC-Siegerinnen und -Sieger vor ihr (außer Lena)? Bald wird sie weg sein, auch die EU-Phorie.

 

 

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500 Wörter – 17.05.2012

17/05/2012

Nelly Furtado - schlecht kopiert

 

 

 

Es muss wohl eine Weile her sein, dass wir Nelly Furtado aufgehört haben zu mögen. Kann sie 2012 ein Comeback feiern?

 

 

Wie belebend die portugiesisch-stämmige Kanadierin früher war! 2001 entsprach sie so gar nicht dem Typ eines Popsternchens, als sie mit „I’m Like a Bird“ daherkam. Ihre Debütsingle schien damals so perfekt poppig, süß und melodisch zu sein, dass alles andere egal an ihr wurde.

 

Tomboy, Anti-Britney, natürliche Schönheit. Neben Alicia Keys und P!nk stand sie für eine Reihe von Mainstream-Pop-Frauen, die sich nicht verbiegen lassen mussten, um ihre Art von Erfolg mit Substanz herbeizuführen. Was sie damals vor M.I.A. und Santigold ausmachte, war die Kombination von moderner Musik mit Einflüssen aus anderen anti-urbanen Regionen dieser Welt. Einen Singles-TOP10-Erfolg in Deutschland erreichte sie mit den Auskopplungen aus Whoa, Nelly! (2001) noch nicht.

 

 

Erst mit „Powerless (Say What You Want)“ und der dritten Single „Forca“ (die EM-Hymne von 2004) der D-Charts-Durchbruch. Beide entstammten dem zweiten Furtado-Album Folklore (2003), das insgesamt unpoppiger und anspruchsvoller klang. Gestiegene Intellektualität durch World-Music-Anleihen und Multikulti-Seriosität: kam wohl nicht bei Plattenkäufern oder –Kritikern gut an. Dabei gehören gerade die minimalistische Ballade „Try“ und das tribalistische „Explode“ zu ihren besten Singles.

 

 

Mit Loose (2006) machte sie alles anders. Sie legte das Image des bunt-quiekigen Hippie-Mädchens ab, wollte reifer und fraulicher wirken. Dazu gehörte es auch, sich wie im Albumtitel freizumachen. Auch von Zöpfen. Offenhaarig suchte sie u.a. Zuflucht beim einst hochangesagten Timbaland, der vorher dank Produktionen für Aaliyah, Britney Spears und Justin Timberlake genau der Mischpult-König war, welcher später von David Guetta abgelöst werden sollte.

 

Futuristisch pumpende Beats und ein klackernde Percussions umstülpten Dancefloor-taugliche Singles wie „Promiscuous“ und „Maneater“. Blutarme Radio-Balladen wie „All Good Things (Come to an End)“ – erste und einzige Nummer-1-Single in Deutschland – konnte sie jedoch auch. Eine zwiespältige Sache, diese neue Nelly.

 

 

Irrelevant wurde sie spätestens 2009 mit ihrem spanischsprachigen Album Mi Plan. Nun wurde sie auch noch bieder. Aber außer dem Nummer-Zwei-Hit „Manos al Aire jedoch kaum noch von sich reden gemacht. Die folgende 2010er-Best-of-Single „Night Is Young“ und die K’naan-Kollaboration von 2012 sind nicht der Rede wert.

 

 

Man hatte sie kaum vermisst. Doch angesichts der Eurodance-Schwemme braucht es neben einer Adele noch eine zweite Charts-Heilsbringerin, die einen Ausweg aus dem technoiden Gleichklang erleuchten könnte. Zuvor scheiterten Beyoncé und Estelle kommerziell an ihren dankbaren Ami-Trance-Weigerungen.

 

Nun meldet sich Nelly Furtado zurück. Und wie! „Big Hoops (Bigger the Better)” (von Rodney „Darkchild“ Jerkins produziert) ist die saucoole erste Singleauskopplung aus dem bald kommenden fünften Album The Spirit Indestructible. Irgendwie fast schon revolutionär, dass sie jegliche Guettaismen vermeidet. Ihre gesangliche Phrasierung erinnert an Rihanna auf besseren Songs, die Komposition an eine publikumsnähere M.I.A., und an die teils coolen R’n’B-/HipHop-Zeiten der 00er-Jahre. Ausgerechnet noch dieser krasse Breakcore-Beat auf der zweiten Hälfte des Liedes: wow!

 

Ist das schon wieder Retro? Aber sicher. Doch mit wie viel Selbstbewusstsein sie lyrisch und gesanglich prahlt, und das, ohne im Musikvideo Pin-up-mäßig sexy erscheinen zu müssen, ist hochgradig ansteckend! Nelly wirkt mit nun 33 Jahren genauso erfrischend wie als 21-Jährige zu „…Bird“-Zeiten.

 

http://vimeo.com/41777238

 

 

 

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500 Wörter – 16.05.2012

16/05/2012

Greller Punkt / Ein Hoffnender

 

 

 

Greller Punkt

 

Wenn du zu lange nach oben siehst,

Nimmst du ungewollt jenes Licht

Mit, das im Orange-Rot heraussticht:

Ein großer, weißer, greller Punkt.

 

Und du schließt und öffnest, schließt,

Doch auch selbst beim Wiederöffnen

Vergeht der Punkt nicht sofortig,

Er verfolgt dich selbst im Dunkeln.

 

Nichts, was ihn aufhält, kann er sich

Doch sogar selbst duplizieren,

Verschieben löscht ihn auch nicht aus.

Spät geht er unter, in Ruhe.

 

 

© 16/05/2012 by SR/Sray

 

 

 

Ein Hoffender

 

 

Zeit, das ist die lange Treppe

Mit den vielen kurzen Stufen,

Die sich weit und breit erstrecke,

Wär sie nur gebaut für Träumer.

 

Doch ist sie ein steiler Steinbau,

Dreieckig mit einer Seite

Voller rechtwinkliger Quader,

Aneinander stur gereihte.

 

 

Oben, dort beginnst du selig,

Hier ganz oben sonnbeschienen,

Über dir der klare Himmel,

Wähnst du dich im Paradiso.

 

Stehst du nun an allem Anfang,

Die Erwartungen mehr niedrig,

Wunderst, ohne dass du weißt,

Warum andere hier warten.

 

Denn weshalb sie und er warten,

Angesehen von aller Augen,

Begreifst du doch wirklich nicht,

Nichts, was du dagegen tun kannst.

 

Wenn du merkst, dass nichts zurückkommt,

Fängst du einfach an zu schreien,

Laut und schrill die Stimme deiner

Bänder des wortlosen Halses.

 
Nun spürst du eine fremde Hand,

Die deine Schulter kurz erwärmt,

Gibt sie dir flugs einen Ruck und

Rollt mit dir dein ganzer Körper.

 

Du bewegst dich, schnell und schneller,

Wegbewegt von jener Plattform,

Von der du herunterfällst und

Ganz kurz schwebst, ein Augenblick nur.

 

Fest prallst du auf eine Fläche,

Harter Stein hält dich kurz auf, doch

Die Geschwindigkeit verlangsamt dich

Keineswegs, denn du rollst und fällst.

 

Du bewegst dich, schnell und schneller,

Und merkst, wie es nach unten geht,

Schwerkraft ist eine ungnädige

Frau in dieser steinernen Welt.

 

 

Du bewegst dich, schnell und schneller,

Nichts, was du noch machen könntest,

Hast die Hoffnung auf ein Halten,

Doch die Pein bezwingt dich bereits.

 

Atmen fällt dir ungemein schwer,

Schultern, Rücken, Hüften, Schenkel,

Längst verwundet und verprellt, bloß

Unversehrt dein wertvolles Haupt.

 

Du bewegst dich, schnell und schneller,

Windest dich, wirbelst, als spulte

Einer einen Faden auf und

Dieser ist für keinen sichtbar.

 

Niemand, der dir helfen könnte,

Nein, auf keinen der Stufen hier,

Keiner, der dich rettend auffängt

Oder dein Gefälle abbremst.

 

 

Allein bist du auf dich gestellt,

Sinnlos ist die rollende Qual,

Die die meisten Sinne betäubt,

Außer den Tastsinn all abstumpft.

 

Der Moment im Bilde vergeht,

Geht über in das nächste Bild,

So rasant, dass du nicht verstehst,

Die Momente so spärlich wahrnimmst.

 

Nichts bleibt bestehen und auch nicht

Das, was du siehst, denn schnell schwindet

Die verzerrte Sicht, der Schwindel

Macht dich buchstäblich zum Blinden.

 

Hörst du nur dich und sonst nichts,

Die Geräusche des Sturzes nur,

Den Kontakt deiner mit dem Stein,

Den Wind der unschuldigen Eil?

 

 

Doch wann endet dieses Spiel nur?

Irgendwann musst du aufprallen,

Landen auf dem Grund allen Seins,

Wo nichts mehr rollt, poltert und fällt.

 

Was wird danach nur geschehen?

Aufstehen, wieder aufsteigen,

Die Treppe andersrum nutzen,

Gar zum Anfang zurückdrehen?

 

 

© 16/05/2012 by SR/Sray

 

 

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500 Wörter – 26.04.2012

26/04/2012

Queen Mum Donna

 

 

Bei dem Namen Madonna denken die meisten Menschen zuallererst an die „Queen of Pop“, weniger an die künstlerische Repräsentation der Mutter Jesu. Ikonen sind/waren sie jedoch beide.

 

 

Madonna war einstmals einfach nur tanzende Pop-Sängerin/-Songwriterin. Bereits die dritte Single-Veröffentlichung „Holiday“ aus dem selbstbetitelten Debütalbum 1983 war ihr erstes D-Singlecharts-Lebenszeichen.

 

Ab dem zweiten Album Like A Virgin (1984) fing anschließend das Spiel mit der Inszenierung als „Material Girl“ oder Fake-Jungfrau an.

 

Mit True Blue (1986) wurde sie wieder optisch/musikalisch mädchenhafter und zurückhaltender.

 

 

Like A Prayer (1989) hat sie dank hochgelobter lyrischer Auseinandersetzung mit Gender-Themen („Express Yourself“) und privater erzkatholischer Erziehung („Oh Father“) endgültig zum Gesprächsstoff fördernden Star gemacht.

 

Erotica (1992) war ein noch provokativerer Befreiungsschlag mit sexy Musik, körniger Schwarzweiß-Bebilderung und eindeutig Zweideutigem.

 

Zahmer, mit R’n’B und Mainstream-Tauglichkeit auch langweiliger ging es trotz Albumtitel bei Bedtime Stories (1994) zu.

 

 

Das spirituell durchsetzte und erwachsene Ray of Light (1998) war sensationell erfolgreich UND bei den Kritikern heißgeliebt. Einen Moment lang war sie die coolste Frau im Universum. Künstlerischer Zenit.

 

Music (2000) hatte zwar funky Dance-Singles wie „Don’t Tell Me“ oder „Music”, aber weltbewegend sah und hörte sich anders aus.

 

 

Ungelenker war American Life (2003), mit der sie der Öffentlichkeit beweisen wollte, dass sie auch politisch und introvertiert sein kann.

 

Confessions of a Dance Floor (2005) hingegen war für die Hüften und Beine. ABBA-Sample? Gähn. Immerhin war sie hier der Euro-Dance-Revival-Epidemie heutzutage um Jahre voraus.

 

Was man von Hard Candy (2008) eher nicht sagen kann. Hier biedert sie sich zum ersten Mal knietief dem damaligen Mainstream-Zeitgeist an. R’n’B und Hip-Hop? Naja. Spannend war höchstens der wieder verworfene Albumtitel Black Madonna.

 

 

All diese Alben wurden nun im Box-Set The Complete Studio Albums (1983-2008) untergebracht und heuer fast gleichzeitig zum momentanen Studioalbum-Release veröffentlicht. Anfang vom Ende?

 

Frau Ciccone hat im Laufe ihrer Karriere auch in anderen Berufsgewässern wie Kinderliteratur und Spielfilmen (als Regisseurin, Anti-Schauspielerin und Soundtrack-Lieferantin) gefischt. Verständlich, dass sie dadurch nun ihren Hauptfokus, kommerziell wie kulturell erfolgreiche Musik zu machen/performen, verloren hat.

 

Früheres Image: Image-/Mode-Chamäleon, Schwulenmutti, Power-Frauenversteherin.

 

Heutiges Image: Kaballah-Makrobiotik-Anhängerin, Toyboy-Spielkameradin, Malawi-Adoptivmutter.

 

 

Ist Album Nr. 12 MDNA (2012) jetzt ihr musisches/wirtschaftliches Todesurteil? Okay, Neueinstieg auf Platz 1 der US-Albumcharts. Doch früher dominierte Madonna mühelos als Pop-Königin Album- UND Singlecharts wochenlang. Ihre aktuellen Singles floppen neuerdings alle.

 

Künstlerisch ist sie längst abgeschrieben. Alle hacken zwar auf ihre 53 Lenze herum, angeblich sei sie  zu alt. Aber die Alterszahl eines musikalischen Künstlers ist eigentlich irrelevant, siehe/höre Kate Bushs oder Leonard Cohens „Spätmeisterwerke“ (nicht meine Meinung).

 

Einst war sie Wegweiserin, heute hechelt sie ihrer Konkurrenz hinterher, die von ihr gelernt und Madonna bereits überholt hat. Nicht nur, dass sie Lady Gaga, Katy Perry und Rihanna nachahmt, über die sie gleichzeitig heuchlerisch lästert, sondern sich selbst zitiert wie im „Girl Gone Wild“-Musikvideo. Die neue Angepasstheit an den Musikmarkt?

 

 

Das kennen wir schon, warum sollen wir deinen Scheiß noch hören/abkaufen? Eigentlich kann sie bei ihrem Vermögen auch einen kommerziellen Fehltritt mit künstlerischer Experimenten-Freiheit erlauben. Hier hat aber wohl eine Rückentwicklung stattgefunden: von der Lichtstrahl-Mutter zum ach so wilden Mädchen. Tragisch.

 

 

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500 Wörter – 16.02.2012

16/02/2012

BiLeS

 

Öfter mal etwas Spontanes unternehmen: mit Bino und Herrn Leo. Zum Beispiel.

Gestern am 15.02.2012 besuchten mich überraschenderweise die zwei Knuddelempfänglichen während meiner Arbeitszeit des Nebenjobs am Mittag. Eine Mischung aus Euphorie und Müdigkeit umgab die beiden, denn ganz wenige Stunden vorher haben sie für EWS (Erziehungswissenschaftliches Studium, ein großer Aspekt des Lehramtsstudiums) die schriftliche und vierstündige Psychologie-Prüfung abgelegt, die Wochen und Monate zum Lernen beanspruchte.

Sie schlugen vor, dass wir am selben Abend noch etwas unternehmen könnten. Zwar wussten sie nicht genau, was wir mit dem Abend konkret anfangen sollten, aber ich war für jede Schandtat bereit.

Nachdem ich meinen Rucksack bei Bino gelassen hatte, liefen wir zum Kult, die eine von zwei Hipsterkneipen in Würzburg. Dort wurde kurz zuvor eine Team-Besprechung abgehalten, der nicht nur Herr Leo und drei Arbeitskollegen von ihm beisaßen, sondern ausnahmsweise sogar mal der Chef höchstpersönlich. Dieser blieb jedoch nur 20 Minuten nach unserem Auftauchen, danach wurde unser Tisch zur nichtstudentenfreien Zone. Machti ist gleichzeitig einer der drei Arbeitskollegen und ein naher Kommilitone von uns. Die anderen zwei waren die bereits bekannte und coole Nina und ein fröhlicher, aber etwas seltsamer Geselle, den ich vorher nie gesehen hatte.

Aber länger als eine Stunde blieben wir nicht im Laden, obwohl sich Herrn Leos Ovomaltine mit Milchschaum und Koala-Keks und mein dunkles Hefeweizen sehen lassen konnte. Wir besuchten Dmi, der eine große und coole Wohnung in der Würzburger City hat und der in meinem erfolgreichen Pub-Quiz-Team (3.Platz) vor zwei oder drei Wochen war. Zuvor kauften Machti und Herr Leo einen Döner, den sie sich geteilt hatten, während wir anderen im Döner-Laden Wegbier besorgten.

Schön warm war Dmis Wohnung. Es gab zwar nicht genug Stühle, dafür aber genug Gläser zum Trinken einer bekannten Spirituose, die wir damals beim Pub Quiz gewonnen hatten. Wir beschlossen, die Flasche leerzumachen, auch wenn wir einst vorhatten, diese mit den anderen zwei Team-Mitgliedern zu teilen. Dafür wird die Flasche nachgekauft. Also tranken wir den Likör zusammen mit Limette und Cola. Bis auf Herr Leo, der trank nur Wasser.

Machti zupfte auf Dmis Akustikgitarre, was ganz gut klang, dafür dass er kein so professioneller Spieler ist wie Dmi. Wenig später haben wir dann die Musik eines entfernten Bekannten ausgelacht, die dieser auf Bandcamp hochgestellt hatte. Daraufhin wurden Machti und ich kreativ und dichteten uns spontan einen Songtext in ähnlich Grönemeyerscher und extrem metaphorischer Sprache zusammen. Das Verarsche-Lied hieß „Die Zerstörung des Seins“ und ging so:

Tischbein deck dich

Natur erweckt mich

Was pur ist, vergeht

Alles, was noch bleibt,

Kann so nicht weitergehen,

Marleen.

 

Sie versiegt den Wahn

Mit einem Sinn

Sie gießt mein Herz

In Blei und Zinn.

 

Und ich will ihr nicht vergeben,

Zerstörung des Seins,

Will für immer weiterleben:

Was meins ist, bleibt nicht deins.

 

Oh, Marleen.

Du musst steil gehen,

Die Welt sehen und verstehen,

Wo dein Herz fließt

In dieser Zeit.

 

Die Weichen sind gestellt,

Wie der Mond sich hier wellt:

Im Lichte der Prosodie

Zernichtet von Sodomie.

Diese Persiflage ist doch geil, oder? Betrunkenheitsskala: 2 von 10.

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500 Wörter – 03.02.2012

03/02/2012

Stars 4-ever

 

 

Astralreise

 

 

Ich weiß nicht, was es ist, aber ich fühle mich gerade so leer. Nicht nur, weil mein Magen knurrt. Mein Trekkingrucksack ist vollgepackt. Wie dem auch sei, ich habe erst einmal keine Zeit zum Essen, muss heimfahren zu meinen Eltern. Um den letzten Zug nach Hause zu ergattern, muss ich den vorvorvorvorletzten Bus von der Uni zum Bahnhof nehmen. Ich laufe und hoffe, dass der Bus rechtzeitig kommen wird. Verdammt kalt ist es gerade!

 

Der Bus ist während der Fahrt mal überpünktlich, mal zeitlich rückständig, und kommt gerade rechtzeitig am Busbahnhof an. Zwei Minuten bis zum Eintritt in den warmen Hauptbahnhof, weitere zwei, um mir eine Automaten-Bahnkarte zu kaufen, plus eine Dreiviertelminute für die EC-Kartenzahlung. Oh, Mann, hab noch vier Minuten Zeit bis zur Zugabfahrt, aber wenn du schnell gehst, ist das kein Problem.

 

Gut, geschafft. Was mache ich jetzt solange im Zug? Brave New World von Aldous Huxley ausgepackt und lese. Ich schlafe ein, fast ein. Das geht jetzt nicht! Ich werde nur etwas wacher. „Nächster Ausstieg ist Lauda. Bitte in Fahrtrichtung rechts aussteigen.“ Ausgestiegen. Will heim, muss heimlaufen, aber irgendwie drückt die Blase. Sehr!

Ich suche erst einmal den nächsten Baum oder Busch, an dem ich freien Lauf lassen kann. Nur parkende Golfs und Opel Astras. Finde aber keine geeigneten Grünflächen, bei denen es eher nicht schade ist, dass sie auf solche Art und Weise gedüngt werden. Aber jetzt doch was gefunden. Aaaah. Und jetzt noch schnell zum EDEKA, bevor aus Öffnungszeiten Schlusszeiten werden.

 

Also ich habe noch Durst und Lust auf etwas Süßes. Und ich muss halbwegs satt werden. Also die sauren Discount-Würmer muss ich kaufen. Und Bier, vielleicht den Astra. Oh ja, Astra Rotlicht, lecker. Und dann noch eine Fünferpackung Laugenbrötchen.

 

Kurze Schlange an der Kasse, gut. Gezahlt, noch besser. Lege die Bierflasche und die Sauren Würmchen auf den obersten Stapel meiner mitgenommenen dreckigen Wäsche im Rucksack, da nicht mehr viel Platz darin ist. Die Brötchen will ich sofort verspeisen, deren Plastikbeutel in der einen Hand, in der anderen schwinge ich jetzt den Rucksack auf den Rücken. Irgendetwas habe ich jedoch vergessen.

 

Keine ganze Sekunde später macht es: krooooooosch. Drehe mich um. Sehe unterschiedlich große Glasteile, mal größer, mal kleiner, umringt von einem ockerfarbenen schaumigen See. Verdammt, rausgefallen! Ich hätte des Rucksacks Reißverschluss zumachen sollen! Bin aber noch im EDEKA drin, umso schlimmer!

 

Ich gehe panisch und ängstlich zu meiner sitzenden Kassiererin zurück, die stehende Ladeninhaberin vor ihr versucht jedoch, mich mit den Worten zu besänftigen: „Ist okay, wir machen das schon weg“. Ich entschuldige und bedanke mich gleichzeitig, drehe mich wieder schuldbewusst um, meine Augen unablässig Ping-Pong spielend. Ich gehe dann doch halbschnell aus dem Geschäft, ohne mir eine neue Flasche zu kaufen.

 

Draußen bleibe ich stehen. Ich sage mehrmals „verdammt“ und ärgere mich immens über mich. Während ich laut seufze, schaue ich plötzlich hoch und den Himmel an. Lauter Sterne blinzeln mir entgegen. Und obwohl ich keine Ahnung habe, welcher Stern welcher ist, bin ich verzückt. Und mein Herz klopft allmählich wieder langsamer.