Ich werde langsam alt, ohne dass ich mich wirklich erwachsen fühle. Ist das paradox?
In letzter Zeit haben sich meine bisherigen kleinen Erfolge wie die Zwischenprüfungen in meinen studierenden Hauptfächern oft ins Gedächtnis gerufen. Warum, womöglich? Aktuelle Mini-Erfolge sind Mangelware.
Weiterhin denke ich gerne an meine Schulzeit mit unerwartetem Abi-Erfolg zurück: ich war die ganzen letzten Jahre gefährdet, wäre beinahe sitzengeblieben. Abi-Tanz, -Fahrt, -Schulstreich, -Verabschiedung und -Feier waren nach dem Bestehen der Lohn.
Kann mich auch erinnern, dass wir eine Mitschülerin hatten, die bei den Post-Abiturprüfungs-Ritualen kaum noch dabei war. Sie galt in unserer Klassenstufe als eine Art Mobbing-Opfer. Direkt angepöbelt oder gar gehauen wurde sie zwar nie, doch über keine andere Mitschülerin wurde hinter ihren Rücken in dieser Prä-Cybermobbing-Ära so übereinstimmend schlechtgeredet wie über sie. Nostalgie im negativen Sinne.
In der Oberstufe (damals 12./13. Klasse, seit der G8-Schulreform 11./12.Klasse) fingen die Lästereien an. Hielt ich mich zwar raus, muss ich jedoch gestehen: ihr zuzuhören war eine Qual. Bei Smalltalks und längeren Zwiegesprächen redete sie wie ein Wasserfall, der Konversation förderliche Unterbrechungen seitens des Gesprächspartners und höfliche Gesprächsbeendigungen waren zudem kaum möglich.
Sie war an sich eine nette, wenn auch unauffällige Mitschülerin, nie Rebellin, Erfolgsschülerin oder Zicke. Doch sie war niemand, den man ins Herz hätte schließen können. Für all die Lästerattacken und fehlenden Bezugspersonen, von denen ich einer wegen der oberen Ursache nicht sein konnte, tat sie mir leid.
Absoluter Tiefpunkt: unser Oberstufen-Ordner. Für 80 von 81 Fast-Abiturient/innen waren die über die Oberstufen-Monate gesammelten und lustig oder wohlwollend gemeinten Anekdoten, Zitate oder sonstige Personenbeschreibungen eine schöne zu lesende Sache. Die hineingeschriebenen Nettigkeiten sollten später in unsere Abizeitung veröffentlicht werden.
Für jene Mitschülerin jedoch muss es jedoch grausam gewesen sein, die Notizen der anderen zu lesen. Innerhalb von fast zwei Seiten waren sämtliche Läster-Sticheleien unter ihrem Namen aufgelistet. Das ging zu weit. Und ich war übrigens unschuldig. Wenig später wurden bis auf zwei neutrale Bemerkungen alle hetzerischen Sätze (von ihr selbst, von anderen?) durchgestrichen. Recht so. Doch nie hatte sie sich über diese Pen-&-Paper-Demütigungen öffentlich beschwert.
Einzige Konsequenz war, dass sie sich dann endgültig vom Klassenstufenrest distanziert hatte. Ich schätze, niemand von uns hatte sie nach der Abiturienten-Verabschiedung, wo sie noch auftauchte, jemals wiedergesehen. Social-Network-Profil? Ebenso Fehlanzeige.
Gestern sah ich im Foyer des Philosophischen Institutes der Uni Würzburg ein paar „Erstis“ (Student/innen im ersten Semester) neugierig herumwandern. Und…WTF?! Plötzlich hörte/sah ich jemanden, der gerade unweit von mir einen älteren Studenten über Online-Stundenpläne fragte. War sie dieselbe Frau wie unsere arme Mitschülerin von damals?
Komische Situation. Ich traute mich nicht, ihr direkt ins Gesicht zu schauen, geschweige denn, sie anzusprechen. Dabei wäre es ein Zeichen von Reife und Erwachsengeworden-Sein gewesen. Fühlte mich trotz damaliger Teil-Neutralität noch immer schuldig, doch tat ich nichts dagegen.
Dann sah ich ihre abschreckend knallrote Hose und hörte diese seltsame Stimme. Und dachte mir: lieber nicht, ich Feigling. Oder vielleicht war sie es gar nicht, sondern nur eine wildfremde Person, die ihr zufälligerweise ähnlich sah. Eines der Geister, die ich rief? Halluziniert man ab einer gewissen/hohen Semesteranzahl?