Archive for the ‘phänomene der popkultur’ Category

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500 Wörter – 25.10.2012

25/10/2012

Adele Bond

 

 

Was wurde nicht alles letztes Jahr über Adele Blue Adkins berichtet:

 

Adele habe mit ihren Veröffentlichungen wie ihrem Album 21 (2011) und ihren Singles „Rolling in the Deep“, „Someone Like You“ und „Set Fire to the Rain“ mehrere Charts- und Verkaufs-Rekorde gebrochen. Für eine Künstlerin bei einem Indie-Label (wenn auch bei einer etablierten und großen unabhängigen Plattenfirma) sei das mehr als sensationell.

 

Adele habe die letztjährig verstorbene Amy Winehouse als UK-White-Soul-Diva und sei doch bodenständig geblieben. Sie habe ihre damalige Neo-UK-Soul-Konkurrentin Duffy irrelevant gemacht. Auch würde sie die von Label-Politik geregelte Erfolgsschleuse für neue Nachwuchs-„Soulröhren“ weiter beeinflussen: Leslie Clio, Gin Wigmore, Miriam Bryant, und wie sie alle heißen.

 

Adele versöhne die Dudelfunk hörenden „middle-aged moms“ (Sasha-Frere-Jones), die zumeist die US-Wahlen (siehe Obama-Romney-Duell) entscheiden würden, mit der jüngeren Generation. Diese habe eine Atempause von den körperbetont und überperformativ agierenden Popsängerinnen benötigt, welche zuvor die Massenmedien übervölkerten. Stichwort: „Anti-Lady Gaga“ (Guy Adams).

 

 

Natürlich steht die Jungbritin auch beispielhaft für ein Phänomen, das vom Musik-Sachbuch-Autor Simon Reynolds als Retromania getauft wurde. Diese Retromanie bedeutet ein Rückbezug auf Elemente der Vergangenheit, welche sich seit Jahren in Revivals vor allem musikalischer Natur äußert: von Neo-Psychedelia (Bezug auf 60er) bis hin zu Neo-Eurodance (90er) ging alles.

 

Bis zu ihrem nächsten Studioalbum, das wahrscheinlich 24 heißen und höchstwahrscheinlich 2014 veröffentlicht wird, wird es noch dauern. Nun ist die bis dato 78-malige (!) Gewinnerin diverser Musikpreise ihren nächsten Karriereschritt wieder auf Pfaden solcher Vergangenheitsbewältigung gegangen. Überraschung!

 

Dass sie auch noch von einem großen Film-Franchise flankiert werden würde, der in vielerlei Hinsicht ebenso mit vergangenen Zeiten liebäugelt, war fast zu schön, um wahr zu sein. Und wurde doch Realität: Adele singt den diesjährigen Bondsong.

 

Bondsongs, also die Titelsongs zu den einzelnen Filmen der 007-Reihe, haben eine lange Tradition.  Was die frühen Bondsongs auszeichnete, war eine aufwendige Orchestrierung, musikalische Spannung, viel Pomp und Drama und ein in der jeweiligen Zeit sehr berühmter Künstler oder eine Band. Oftmals gehörte dazu eine überragende Stimme.

 

Dame Shirley Bassey („Goldfinger“) wird immer als personifizierte Bondsong-Sängerin hochgehoben, so wie auch Sean Connery beharrlich als der schauspielende Bond-Pionier verklärt wird. Liegt aber auch an deren Rekordanzahl von Einsätzen im öffentlichen Dienste Ihrer Majestät.

 

Die Bondmusik-Verantwortlichen entschieden sich nach zu vielen Durchschnitts-Bondsongs (von a-ha, Chris Cornell, Jack White und Alicia Keys) und langen Verhandlungen mit der einstigen Skandal-Amy für die verlässlichere und omnipräsente Adele.

 

 

Eine große Stimme vermischt sich mit größenwahnsinnigen Arrangements. Und die Twen Mom schafft auch sonst gerne den Spagat zwischen Alt und Neu. Der Song trägt endlich wieder den Namen des jeweiligen Films, er klingt dramatisch, düster vom Geigenhimmel, und ist doch Mainstream.

 

Aber ich bin hin- und hergerissen. Ihr „Skyfall“ ist von Produzent Paul Epworth einerseits solide produziert und seltsame Gitarren-Solos wurden diesmal dankenswerterweise weggelassen. Andererseits: jetzt, da sie scheinbar alles erreicht hat, hätte ich mir doch etwas mehr Unberechenbarkeit gewünscht. Vielleicht hätte sie mit dem ebenfalls vom Himmel gefallenen Felix Baumgartner koopieren sollen.

 

 

Aber was rede ich da? „Skyfall“ ist der beste Bondsong und die beste Nummer-1 der Deutschen Singlecharts seit langem!

 

 

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500 Wörter – 19.07.2012

19/07/2012

Cro-Diamant?

 

 

 

„Hi Kids“! „Meine Zeit“ als „King of Raop“ ist gekommen! „Du“ wirst es nicht glauben, alles klappt gerade so „Eas“-ily! Das maskierte Phänomen der Pop/Raop-Kultur namens Cro hat nun endgültig die Charts der deutschsprachigen Länder erobert.

 

 

Mit „Easy“ hat das alles angefangen, ein Ende ist kaum in Sicht. Verblüffend, wenn es jemand innerhalb einer Woche schafft, als Newcomer fünf Singles in den TOP100 der Deutschen Singlecharts zu platzieren (siehe oben). Das gab es seit Adele, Lena oder den verstorbenen Schlagzeilen-Divas Amy und Whitney nicht mehr.

 

Cro (Baujahr 1992) – nicht zu verwechseln mit der Skandal-Hardcore-Truppe Cro-Mags – ist eines dieser Internet-Phänomene, das zuerst durch Likes und Shares durchstartet. Sein Mittel zum Zweck: Mixtapes.

 

 

In der digitalen Ära hat sich der Begriff der Mixkassettegewandelt, denn heutzutage bedeuten sie weniger Zusammenstellungen von Liedern auf Kompaktkassetten als solche als MP3-Playlists.

 

Gerade in der Musikblog- und HipHop-/R’n’B-Welt haben Mixtapes zuletzt einen zusätzlichen Bedeutungswandel erfahren, meinen sie eher im Internet kostenlos von den betroffenen Künstlern veröffentlichte MP3-Alben. Vorteile: geht einfacher, schneller, keine Plattenfirma oder konventionelle Promotion nötig. Außer vielleicht virtuelle Mundpropaganda. Bisherige Neo-Mixtape-Nutznießer waren The Weeknd und Frank Ocean.

 

Dies konnte auch Cro zunutze machen mit seinen drei schnell beliebt gewordenen und nicht mehr wirklich legal erhältlichen Mixtapes Trash (2009), Meine Musik und Easy (beide 2011), letzteres natürlich mit dem gleichnamigen Song. Das dazugehörige Musikvideo mit dem nicht unraffinierten Geschlechterrollen-Twist befeuerte zusätzlich seine Web-Popularität.

 

 

Seine konsensfähige Mischung aus wortspielträchtigen und namedroppenden (z.B. Kanye und AC/DC) Lyrics, dem Sample von Bobby Hebbs „Sunny“, eingängigen Beats und seinem Junger-Mittelschichts-Rapper-Lifestyle muss viele Kids angesprochen haben. Kompatibel mit Schüler/innen der gymnasialen Mittelstufe.

 

Als offizielle Singleveröffentlichung gelang „Easy“ eine beachtliche Höchstposition von Platz 2, dieser Erfolg wurde diese Woche durch „Du“ wiederholt, dessen Musikvideo geradezu nach unbekümmertem Hipstertum und Instagrammatik stinkt.

 

 

Dieses Nicht-mehr-so-Geheim-Rezept veranlasste Carlo Weibel, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, ein angeblich neues Subgenre zu schaffen: Raop (= Rap + Pop). Ebenso heißt sein Major-Label-Debütalbum, das direkt auf Platz 1 der deutschen/österreichischen Albumcharts hochgeschossen ist.

 

Dabei ist deutscher Weichspüler-HipHop gar nicht mal so neu: Die Fantastischen Vier waren vor 20 Jahren dessen wahre Pioniere. Auch die Gesichts-Maskierung durch Panda-Kopf, Carlo ist jedoch längst enttarnt worden, ist, haha, ist ein alter Hut: Deadmau5, Daft Punk, und damals Sido können ein Lied davon rappen/auflegen.

 

Sogleich wurde Cro von Medien wie Musikexpress mit Kollegen wie Casper oder Marteria (welche sich zumindest musikalisch in ganz anderen Welten bewegen) in eine enge Schublade gesteckt: die neue Deutschrap-Generation sei das, erinnernd an die goldene HipHop-Ära Ende der 90er, viel netter, unernster und lyrisch cleverer als die Aggro-Berliner. Die gleiche Musikzeitschrift zerriss jedoch einen Monat später Raop mit 1,5 von 6 Bewertungs-Sternchen. Seine Texte wie in „Du“ seien zu oberflächlich und nichtssagend hedonistisch. Ein Aufreger!

 

 

Eins muss man Cro lassen. Mit seinem Erfolg hat er selbst unwissenden und HipHop-hassenden Ottonormaldeutschen/Österreichern/Deutschschweizern endgültig bewiesen, dass es mehr gibt als nur die üblichen Rap-Klischees wie Statussymbolik, Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Gewalt, Machismo, Ghetto-/Straßen-Leben oder fehlende Schulbildung. Aber es gibt auch wirklich mehr zu bieten zwischen den Polen D-Gangsta-Rap und Cros Raop.

 

http://vimeo.com/33033600

http://vimeo.com/45461382

http://vimeo.com/45802869

http://vimeo.com/45191168

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500 Wörter – 12.07.2012

12/07/2012

Campino freut sich über Tage wie diese

 

 

 

An Wochen wie diesen kann man sich über dieses Phänomen der Popkultur nur wundern: Die Toten Hosen und ihre überraschend erfolgreiche Comeback-Single „Tage wie diese“.

 

 

Sie begannen als lokale Punker namens ZK („Zentralkomitee Stadtmitte“). Mit neuem Namen, ausgerechnet vom feinen Düsseldorf aus, konnte das anfängliche Punk-Sextett bereits früh Erfolge verbuchen: die Party-Hymne „Eiskalter Bommerlunder“ kennt jeder.

 

Später kokettierte die selbst ernannte Opel-Gang (1983) mit ihrem Bandnamen durch eine Coverplatte Never Mind The Hosen – Here’s Die Roten Rosen (1987). Anschließend kamen Alex, Azzurro und der aufrechte Deutsche Sascha. 1996 war der kommerzielle Wendepunkt erreicht, mithilfe von „Bonnie & Clyde“ und ihrer ersten Nummer-Eins-Single „Zehn kleine Jägermeister“, die in der dritten Klasse damals alle im Schulunterricht mitgrölen durften.

 

 

Ab 1998 konnte man nicht mehr nur auf Sauf-Songs und Filmklassiker-Tribute abgehen, denn neben Weihnachts-Punkrock-Liedchen gelang ihnen auch englische Texte wie das über Rechtlosigkeit und Unterdrückung handelnde „Pushed Again“. Sie konnten auch ernst machen. Schön und unsterblich sein, über Fußball-Bayern texten.

 

In den Nullerjahren blieb es bis auf eine Anti-Moralapostel-Ode auf den Alkohol eher seriös. Aus semi-anarchischem Punk-Rock wurde geradliniger Rock-Rock. Ihnen gelang zwar der ein oder andere TOP10-Single-Einstieg durchaus („Friss oder stirb“, „Strom“), aber so richtig ekstatisch aufmischen konnten sie das identitätssuchende Heimatland nicht mehr. Sie waren eher bloß Nur zu Besuch: Unplugged (2005).

 

 

Man hatte die Ex-Rebellen lange nicht mehr auf dem Schirm gehabt. Doch in diesem Jahr, in dem auch ihre einstigen Rivalen Die Ärzte wieder von sich reden machen, bewiesen sie, dass das Quintett noch lange nicht Geschichte ist.

 

Die Hosen koppelten im April „Tage wie diese“ aus ihrem 15. Studioalbum Ballast der Republik (2012) heraus. Wochenlang blieb die sogar radiotaugliche Single irgendwo zwischen Platz 2 und Platz 6. Ende Mai war es soweit. Kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft 2012 landet das Lied auf Platz 1. Und bleibt dort, liegt dank Eurovision Song Contest 2012 und Loreens „Euphoria“ zwar kurz auf dem Boden des zweiten Platzes, aber darf die meiste Zeit auf dem Hitlisten-Thron sitzen bleiben.

 

 

Die bisherigen fünf Wochen an der Spitze der deutschen Singlecharts fühlen sich wie doppelt so viele an. Doch man gönnt der seit 30 Jahren bestehenden Band diesen Sommererfolg viel mehr als anderen kurzlebigen Künstlern. Und auch wenn dieser musikalische Appell an Hedonismus an sich ein eher durchschnittlicher Song ist, verfügt er über eine erstaunliche Euphorie, gesellschaftlichen Kitt und Massentauglichkeit.

 

Diese Euphorie passte wunderbar zum EM-Fieber: „Ich wart seit Wochen, auf diesen Tag / Und tanz vor Freude, über den Asphalt“. Zwar war der offizielle EM-Song dieses Jahr „Endless Summer“ von Oceana, aber hierbei konnten sich weitaus weniger Menschen für das Retro-Eurodance-Brett begeistern. Ist unendlich viel Zeit nicht besser? Noch ungehörter blieb das „offizielle“ Lied für die deutschen EM-Fans von Roger Cicero namens „Für nichts auf dieser Welt“: Höchstposition war der lahme Platz 85.

 

 

„Tage wie diese“ spricht fast jeden Menschen an: von Jung bis Alt, von Mann bis Frau, vom Fußball-Laien bis zum Kicker-Dauerabonnent. Wenn wache Feierlaune mit ehrlichem Ernst ohne Fingerzeig und Unversifftheit gekreuzt wird, kann durchaus mal ein Dauerbrenner entstehen. Respektable Leistung!

 

 

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500 Wörter – 05.07.2012

05/07/2012

Endless Ocean-a

 

 

 

Als heutiges „Phänomen der Popkultur“ soll heute Oceana mit ihrem endlosen Sommer fungieren.  

 

 

Nur die wenigsten werden vor der seit Sonntag beendeten Fußball-Europameisterschaft 2012 von Oceana Mahlmann gehört haben. Die zu ein Viertel amerikanische Deutsche ist ein wahres Multitalent.

 

Man hat die Afro-Besitzerin sicherlich öfter gesehen, als es einem bisher auffiel. Für Seeed tanzte sie in deren Musikvideos zu „Music Monk“ und „Schwinger“ an vorderster Stelle, leitete die Choreografie in Fettes Brots „Bettina“-Video. Zudem hat sie bereits im Fernsehen moderiert und sogar geschauspielert.

 

Singen kann sie auch noch! 2009 kam ihr Solo-Debütalbum Love Supply heraus, aus dem die soul-poppige Single-Auskopplung „Cry Cry“ in Deutschland nur Platz 52 schaffte. Laut Wikipedia gelang ihr hingegen in Ländern wie Russland, Polen und Griechenland sogar ein Nummer-1-Hit damit.

 

 

Vielleicht war das ein Grund, warum sie als eine Art musikalische Botschafterin für die EM 2012 ausgewählt wurde. Daraufhin musste ein fröhlicher und tanzbarer englischsprachiger Song geschrieben/performt werden. Klar, dass die 30-Jährige nicht mit einem souligen Midtempo-Song daherkommen würde.  Dass sie sich aber komplett dem Mainstream-Zeitgeist – Retro-Eurodance und Bumm-Bumm-Techhouse mit Black-Music-Färbung – unterwürfen würde, ist im Nachhinein doch sehr schade.

 

Viel Oh-oh-oh-oh-oh, ein bisschen Trompete, sonst klappert es an allen Enden wie ein typischer Balkan-Techno-Song. „Endless Summer“ ist zwar nicht so schlimm wie man befürchten könnte, da gibt es viel schlechtere Sachen in den Charts derzeit, z.B. „Tacatà“. Ist dennoch sehr penetrant und schlechter als ihre früheren Stücke, welche leider etwas seicht waren, aber nicht so sehr flach.

 

Die neue Dance-Pop-Oceana konnte sich dank neuer EM-Aufmerksamkeit diesmal effektiver in die öffentliche Wahrnehmung hineingrätschen. Doch im Gegensatz zu früheren Fußballmeisterschafts-Liedern tat sich das Lied auf dem Charts-Weg bisher schwer. Höchstplatzierung: Platz 5 erst nach mehreren Wochen Hochkletterns. Der zum Überraschungs-Fußballsong und -Erfolgshit mutierte „Tage wie diesen“ von den Toten Hosen hingegen hat die Deutschen mehr begeistert. Kann man „Endless Summer“ trotz TOP5-Platzierung bereits als einen „Flop“ abschreiben?

 

 

Wer weiß noch, was z.B. der offizielle WM-Song 2010 oder was waren die letzten EM-Songs der letzten acht Jahre? Tja, das kollektive Hirn vergisst nach dem ganzen Fußball-Hype dann doch wieder sehr schnell.

 

Also zur Erfrischung: 2010 durfte Shakira mit „Waka Waka (This Time For Africa)“ die fußballverrückten Menschen einheizen. Daneben gab es inoffizielle Lieder für gewisse TV-Sender oder Marken von Leuten wie K’naan oder Helele mit Safri Duo.

 

2008 waren es sowohl Shaggy mit „Feel the Rush“ (grausam!) sowie das weniger bekannte „Can You Hear Me“ von Enrique Iglesias. Welches Lied offiziell für die EM von vor vier Jahren stand, ist mir gerade wurscht.

 

2006 engagierte die FIFA Bob Sinclar.

 

2004 durfte Anastacia herumgrölen. Gibt es die eigentlich noch?

 

Die meisten Songs gingen gleich auf Platz 1! Aber die Halbwertszeit solcher zusammengeschusterten Ballermann-affinen Lieder, egal wie erfolgreich sie sind, ist einfach sehr gering. Spätestens 2013 wird man, so prophezeie ich mal, sich auch gar nicht mehr an Oceana erinnern, sollte sie keinen erkennbaren Folge-Hit nachliefern. Es wäre jedoch eine Verschwendung von so viel offensichtlichem Talent, egal wie schlecht die anderen Songs sind! Endlosen Sommer hätten wir übrigens auch ganz gerne!

 

 

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500 Wörter – 28.06.2012

28/06/2012

Carly Rae Jepsen

 

 

 

Charts- und Pop-Phänomene. Heute ist die Kanadierin Carly Rae Jepsen dran. Wer? Das olle Mädel mit dem Hit „Call Me Maybe“ natürlich!

 

 

Jeder hat peinliche Lieblingslieder, die nur wenige Menschen zugeben würden. Songs wie „Copacabana (At the Copa)“ (Barry Manilow), “Man Eater” (Hall & Oates), „You Get What You Give” (New Radicals), „No Limit“ (2 Unlimited), “I Believe in You” (Kylie Minogue), und neuerdings auch “Where Have You Been” (Rihanna) wären meine guilty pleasures.

 

“Call Me Maybe” ist zwar (noch) kein Anwärter für meine Böse-Lieblingssongs-Liste, doch von allen aktuellen Chart-Hits gehört es zu den verzeihlicheren Mainstream-Verbrechen. Kann mir gut vorstellen, dass Carly Rae Jepsens TOP3-Lied in Deutschland bei vielen anderen Menschen bereits komische Gefühle ausgelöst hat.

 

Meine Psychobilly-affine Arbeitskollegin liebt dieses Lied! Barack Obama wurde bereits mit ihren Lyrics gedubbt! Selbst amerikanische Indie-Hipster geben zu, dass dieses Lied stark ist. Noch stärker finden sie nur den ewigen Klassiker „Since U Been Gone“ von Kelly Clarkson.

 

 

Platz 1 in den US-Singlecharts seit letzter Woche. Wurde auch offiziell zum Sommersong des Jahres 2012 deklariert. Warum ist dieses Lalala-Lied bei vielen Zielgruppen so beliebt? Müsste man „Call Me Maybe“ nicht eigentlich hassen?

 

Denn die einfach gestrickte Musik-Komposition kombiniert von Frauen gesungenen Radio-Pop-Rock mit Dance-Pop-Bumms. Zigmal gehört! Dann klingt die Melodie so unfassbar jung, weiblich, überzuckert und so pseudo-jungfräulich, als sauge man/frau die Bravo Girl-Zeitschrift als Hörbuch auf. Außerdem geht es in den Lyrics um romantisierte Liebe auf den ersten Blick. Gähn.

 

Somit dürfte kein Erwachsener „Call Me Maybe“ mögen. Weil es an all diese minder- und knapp volljährigen Schauspiel-Sängerinnen wie Selena Gomez, Demi Lovato oder Miley Cyrus erinnert. Die ehemalige Canadian-Idol-Drittplatzierte Carly Rae Jepsen sieht gar so ähnlich aus! Trotzdem sind Jepsen und ihr Mega-Hit so viel besser als andere Sweet-Girls und deren Schunder-Songs.

 

 

  1. Das Lied ist trotz/gerade wegen der simplen Produktion angenehm minimalistischer und weniger überproduziert als das meiste andere Charts-Zeugs.
  2. „Call Me Maybe“ ist wie vertonter Erdbeer-Kaugummi. Man greift ja manchmal auch dazu statt zu Doublemint. Möchte man sich ebenso beim heimlichen Hören von Neo-Bubblegum-Popmusik  nicht manchmal unbewusst wieder wie 14 fühlen, egal welches Geschlechtes?  Alters- und Geschlechter-Rollenzuschreibungen sind doch heutzutage so altmodisch.
  3. Der Refrain zum Ohrwurm macht süchtig: „Hey, I just met you and this is crazy, but here’s my number so call me maybe / It’s hard to look right at you baby, but here’s my number so call me maybe!”
  4. In die scheinbar harmlosen Lyrics kann sich Jedermann/-frau durchaus hineinversetzen. Wer sieht nicht eine/n tolle/n Kerl/Schnecke und würde ihn/sie so gerne ansprechen, traut sich aber nicht? Trotzdem ist das Lied etwas veraltet: würde man im Jahre 2012 nicht eher sagen: „Add Me Maybe (on Facebook)“?
  5. Dass die 26-Jährige quasi Musik für jüngere Menschen macht, ist irgendwie ironisch und putzig.
  6. Außerdem nervt sie in der Öffentlichkeit nicht mit genereller Boulevard-News-Dauerpräsenz wie Lohan, Bieber oder Katy Perry.
  7. Das dazugehörige Musikvideo zur Single hat was. Denn die Story-Auflösung am Ende wirkt zwar etwas aufgesetzt, ist aber von vorne bis hinten eine durchaus charmante Angelegenheit.

 

 

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500 Wörter – 21.06.2012

21/06/2012

Lykke Li painted

 

 

 

In der heutigen Donnerstag-Rubrik der Pop-Phänomene geht es um „I Follow Rivers“, Lykke Li und Triggerfinger.

 

 

Für all die, die keine Indie- oder Semi-Indie-Musikhörer sind, stelle ich die oben genannte Frau erst einmal vor. Lykke Li Timotej Zachrisson ist eine sechsundzwanzig Jahre alte Sängerin aus Schweden. Das Land mit zwar ABBA und Loreen (die Schwedin der letzten Woche, siehe 14.06.2012), aber auch mit der cooleren Musik und den cooleren Charts.

 

Durch ihre Eltern erlebte Lykke Li früh Kunst und das Reisen in viele Länder, was ihr sicherlich bei ihrem musikalischen Werdegang sehr half. Ihr Debütalbum Youth Novels kam schließlich 2008 heraus und erreichte in Schweden Platz 3.

 

Schon damals fiel die Chanteuse mit ihrer quäkig-charmanten Stimme auf, die sie mit leicht elektronischem Indie-Pop kombinierte. Außerhalb Schwedens war sie mit Hit-potenziellen Singles wie „I’m Good, I’m Gone“ oder „Little Bit“ zwar nur in Belgien chartsmäßig irgendwie sichtbar, doch bei ego.fm-Hörer/innen und SPEX-Leser/innen erschloss sie sich eine kleine und feine Fangemeinde.

 

 

Elektro-Pop-Gays lieben die Stilikone mit dem Smokey-Eyes-Schlafzimmerblick und den pseudo-verlotterten Haaren zusätzlich für den Gastbeitrag für Kleerup (schwedischer Techno-/Synthpop-Produzent) bei seinem Track „Until We Bleed“ (2008). Selbst Twilight-Guckerinnen wurden mit ihrer exklusiven Soundtrack-Mitwirkung namens „Possibility“ im Jahre 2009 belohnt.

 

 

Später wollte Li jedoch nicht mehr nur niedliche Musik machen, sondern der Komposition und den Lyrics Tiefgang, Schmerzen und Dunkelheit beifügen. Einfach mehr wagen! Also veröffentlichte sie 2010 die rhythmische Single „Get Some“ mit dem eindeutigen Ausruf: „I’m a prostitute / You can get some!“

 

In ihrem zweiten Album Wounded Rhymes (2011) gab es ähnlich masochistische Song-Titelnamen wie „Sadness Is a Blessing“ (mit wunderbarem Musikvideo!) oder „Youth Knows No Pain“. Trotz oder gerade wegen der musikalischen Schwere liebten die Kritiker diese Platte!

 

 

Umso überraschender war derjenige Moment, als ich einen Remix der zweiten Single „I Follow Rivers“ zum ersten Mal im Pöbel-Radio hörte. WTF? Es war jedoch nicht die grandiose Original-Version oder der atmosphärische Remix von Dave Sitek, sondern die ziemlich 90er-House-lastige Überarbeitung von The Magician. Naja. Passt zum momentanen Euro-Disco-Revival.

 

Noch verblüffender: wenig später hörte ich im Radio eine Cover-Version von „I Follow Rivers“. Von einer derbe unbekannten Band namens Triggerfinger: eine ältliche und bisher kaum erfolgreiche Hard-Rock-Band aus dem belgischen Antwerpen. Hörte sich ganz anders an, eine Mischung aus Northern Soul, Blues und Dad-Rock, nur in akustisch mit Gläsern, Tassen und Messern als Klangkörper. Leider nicht geil.

 

 

Am unfassbarsten: beide Versionen schafften es sowohl in Flandern als auch in Wallonien auf Platz 1 jener Single-Charts. In Deutschland konnte sich dagegen Lykke Lis „I Follow Rivers“ dank des Magician-Remixes bisher auf Platz 9 behaupten, während die belgische Cover-Version nur irgendwo knapp unterhalb der TOP50 herumkriecht.

 

Der Remix wurde neben der deutschen Heavy Rotation im Radio auch während der UEFA Champions League 2011/2012 oft in Sat.1 gehört. Deswegen vielleicht, und weil Triggerfinger doch für deutsche Ohren zu schmalzige Musik machen, siegt Lykke Li gegenüber den Flandern.

 

 

Schweden schied trotzdem zuletzt aus der EM-Vorrunde aus, Belgien war gar nicht erst mit dabei. Remix und Cover-Version sorgen also für Erfolge auf Umwegen, sehr interessant!

 

 

http://vimeo.com/22935185